Hier nochmal Dein Text. Vielleicht kannst Du ihn
irgendwann mal aktualisieren, so, daß Ereignisse, die Du in die Zukunft
projeziert hattest und schon stattgefunden haben, vielleicht durch andere
Projektionen ersetzt werden?
Ich finde den Text nach wie vor gut und lesenswert,
vor allem auch die "Erfindung" des Titels "Kunst als Programm".- Schönen
Gruß!
Kunst als
Programm
Bemerkungen zu den Arbeiten von Wilfried Marks
Was kann
man im ausgehenden Jahrhundert, zu dessen Beginn die Heisenberg´sche
Unschärferelation und Einsteins Relativitätstheorie dem Imperativ der
Aufklärung, daß der Mensch die Kategorien der Welterkenntnis bestimme, den
ersten Schlag versetzten, und an dessen Ende die vollständige Auflistung des
menschlichen Genoms erwartet wird und erste Patentanträge für das
Multimilliardendollargeschäft bereits gestellt sind, von der Kunst
erwarten?
Nach Auschwitz und Hiroshima, nach der Landung auf dem Mond
und nachdem das Projekt Selbstbefreiung durch "materialistische
Wissenschaft" samt seiner Utopie und dem Archipel Gulag ad acta gelegt
worden ist, gibt es sicher keine Antworten, aber den Willen, die Frage
präzise und in der richtigen Form am richtigen Ort zu stellen.
Die
Werke von Wilfried Marks appellieren nicht an das Schöne des Gefühls, an das
interesselose Wohlgefallen, wie Kant es wollte. Auch bezwecken sie nicht das
Erschauern vor dem Erhabenen, weil in amorphen Strukturen Sprachähnliches
und damit vermeintlicher Sinn erscheint, wie in der informellen Malerei.-
Nein, sie kommen im Gewand designter Produkte daher, geplant und
programmiert für die serielle Produktion, mit glatten Oberflächen und klaren
Formen, wie aus zweiter Hand. Von der Warenform unterscheidet sie nur ihre
Nutzlosigkeit. Die Person des Künstlers als spontanes, impulsives oder gar
genialisches Subjekt verschwindet vollständig unter der Oberfläche der
generierten Dinge. Diese Dinge begnügen sich nicht damit im Status des
Kunstwerks ihre Fremdheit zu offenbaren, sondern sie eröffnen Diskurse, mit
denen sie in der Welt der etablierten Codes wildern.
In der oft
zwingenden Logik ihrer formalisierten Systeme bringen sie "wirklich
Unwirkliches" zum Erscheinen. Aus der repräsentativen Variation eines
Grundthemas in Reihen von gleichwertigen Einzelerscheinungen entspringt
Unvorhergesehenes, welches auf einer Metaebene- quasi paralogisch- neue
Lesbarkeit zuläßt (z.B. Hinterland, 1990/ 91, Figur/ Grund, 1988, oder
E.N.I.A.C. Furniture, 1983- 85/ 88). Andere Arbeiten pochen mit einer
stupenden Beharrlichkeit auf die Identität von Form und Inhalt,
rationalistische Benennungshysterie bis zur Tautologie überzeichnend (z.B.
Cool, 1988, Out + In, 1988, Rot, 1988).
"Kunst ist Rationalität, welche
diese kritisiert, ohne sich ihr zu entziehen; kein Vorrationales oder
Irrationales..., aber während sie die Gesellschaft opponiert, vermag sie
doch keinen ihr jenseitigen Standpunkt zu beziehen; Opposition gelingt ihr
einzig durch Identifikation mit dem, wogegen sie aufbegehrt". (1)
Dem
folgend hat sich heute der Standort der Kunst weiter verschoben, da das
Subjekt als Maß der Dinge
längst durch die neuen Fakten liquidiert zu
sein scheint.
Informationstechnologien und elektronische
Datenverarbeitung haben Sprache, unter dem zur Omnipotenz tendierenden
Diktat der Ökonomie der Zeit, zu einer Ware unter anderen gemacht.
Allgegenwärtige, binär codierte Informationsbits pulsieren mit
Lichtgeschwindigkeit durch die Glasfaserkanäle. Die Verfügung über sie wird
zu einem "Muß" in den Entscheidungsstrukturen, und damit dringen sie in die
Historie ein. In den Technowissenschaften werden nicht mehr nur Hypothesen
überprüft, sondern die Maschinenprachen generieren Ideen. Das
"Apfelmännchen" des "Mandelbrotbäumchens" versucht sich, seiner an sich noch
simplen Grammatik des binären Codes folgend, allen Erscheinungen
anzuschmiegen, und da, wo sich Koinzidenz mit Natur herstellt, entstehen
neue Wahrheiten, neue Produkte. Die Materie ist nicht länger das neutrale
Objekt des Erkennens, sondern die Technologie definiert ihre
Erscheinungsform und ihren
Verfügbarkeitsstatus.
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"Das
ganze Kommunikationssystem ist von einer komplexen, syntaktischen
Sprachstruktur zu einem binären, signalartigen System von Frage/ Antwort zum
permanenten Test übergegangen. Test und Referendum sind aber bekanntlich
perfekte Simmulationsformen: Die Antwort wird durch die Frage induziert, sie
wird im Voraus bezeichnet. Das Referendum ist also immer nur ein Ultimatum".
(2)
Näherungsrechnung dringt in die Substanz selbst vor und designed
darin: Die Ästhetisierung der Materie. Damit ist aber der zur Wahrheit
befähigende klassische Referent verloren, Erkenntnis der Gefahr ausgesetzt,
Selbstprojektion als objektive Reaktion zu deklarieren.
Materie, zu
Beginn der Moderne als verfügbar den Kategorien der Vernunft bestimmt,
entpuppt sich als unendlich sprachähnlich, sinnähnlich, ohne aber in
Anbetracht der sich exponentiell steigernden Vielheit der erfaßten Phänomene
zunehmend als vernünftig zu erscheinen. Deshalb die rasante Konjunktur der
Theoreme und Ad hoc- Erklärungen: Die neuen Planeten, die durch Rechenfehler
auftauchen und wieder verschwinden, und das verbreitete Hausieren im Bestand
der Philisophie, wodurch diese selbst unter dem Machbarkeits- und
Verwertungsdiktat marginalisiert wird. Ebenso läuft Kunst Gefahr,
reibungslos in Werbebotschaften transformiert zu werden, die die Message von
Personality und Identity transportieren.
"Die eigentlich generative...,
die stabilisierte Form des Codes, das ist die Formel der Binarität, der
Digitalität, nicht der reinen Wiederholung, sondern der minimalen
Abweichung, der minimalen Modulation zwischen zwei Termen, das heißt, das
kleinste gemeinsame Paradigma, das die Fiktion von Sinn aufrecht erhalten
könnte. Diese Simulation, diese Kombinatorik der inneren Differenzierung des
Bildlichen, wie des Konsumgegenstandes, reduziert und verengt sich in der
gegenwärtigen Kunst so sehr, daß es schließlich nur noch eine winzige
Differenz ist, die das Hyperreale von der Hypermalerei trennt".
(3)
Die sprachähnliche Unvernunft der technologisch befragten Materie
fällt auf das Subjekt selbst als Fragendes zurück, vernebelt den Horizont
der Emanzipation durch schimärische Erkenntnis unter dem Faktum des
Nutzaspektes, demzufolge das Machbare auch gemacht wird.
Sie
generiert Bedingungen und Produkte in denen der Mensch selbst, als Gleicher
unter Gleichen, zum Gegenstand des Experiments wird, und so Gefahr läuft,
einer wahrhaft naturwüchsigen Agonie anheimzufallen.
Hier wittert
religiöser Fundamentalismus heute seine Chance und bietet doch nur den
Tausch einer Ünmündigkeit gegen eine andere. Hier regt sich der Versuch
eines Entkommens aus der universellen Performance in die "wa(h)re"
Historizität als Remake des Remakes, aber mit echten
Leichen.
Zwischen dem Neo- eines neuen Historizismus und der
Vereinnahmung durch Simulation gilt es für die Kunst eine Position zu
finden.
Will man nicht zu wirklich "lebendem Geld" (4) verkommen, muß die
Autonomie der Körperlichkeit, als Entwurf der Freiheit, in der Präsenz
erstritten werden. Nur mit ihr kann Sinn einhergehen.
Die Arbeiten
von Wilfried Marks bleiben Abformungen, Ausdrücke, Abdrücke,-
Körper.
Sie sind nicht fiktional, sondern ganz und gar von dieser
Welt, auch wenn an ihnen Unsichtbares im Sichtbaren
aufscheint.
Hermann Pitton, Marburg, 1992
(1) Theodor W.
Adorno, "Ästhetische Theorie", Suhrkamp, 1970
(2, 3) Jean Beaudrillard,
"Der symbolische Tausch und der Tod", Matthes & Seitz, 1982
(4)
Pierre Klossowski, "Lebendes Geld", Impuls,
1982
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